Ein Beitrag von Andreas Pfeil-Schulz
Die Mehrzahl der Marketingverantwortlichen, mit denen ich mich unterhalte, ist verunsichert. Sie stehen zunehmend unter Druck, datengesteuertes Marketing zu betreiben. Einhellig wird der Personalisierung ein hoher Stellenwert zugeschrieben, gleichzeitig haben jedoch fast alle Probleme bei der Verwaltung, Bereitstellung und Analyse ihrer eigenen Daten.
Die Folgen können wir jeden Tag in unserem eigenen elektronischen und analogen Briefkasten mitverfolgen. Die Studie eines Marketing-Plattformbetreibers bestätigt den Verdacht: 95 Prozent der befragten Verbraucher können spontan schlechte Beispiele von Personalisierung nennen. 63 Prozent gaben an, von ihnen werden veraltete Daten verwendet, und noch knapp die Hälfte hat Probleme damit, dass der Absender Annahmen über ihre Wünsche trifft, die nur von einer (meistens der letzten) Interaktion abgeleitet sind.
Individualbedürfnisse vs. Marketing-Kampagnen
Kurzer Ausflug in die Psychologie. Unternehmen, die auf Daten gegründet wurden, haben verstanden ebendiese im Sinne der Kundenzentrierung zu nutzen. Sie sprechen unsere Individualbedürfnisse gemäß der Bedürfnispyramide nach Maslow an. Anders ausgedrückt: Es geht um MICH! Jemand sieht mich, und hat sich Gedanken gemacht, was er mir als nächstes aus seinem Produkt- oder Dienstleistungsportfolio anbieten möchte.
Warum schickt mir der Weinversand nach sieben Jahren noch immer Rotweinangebote aus dem Bordeaux, obwohl ich regelmäßig Lugana bestelle?
Warum übernehmen Versicherungen nicht endlich die Beratungsleistung, die ihr Maklersystem im After-Sales-Vakuum der Branche nicht erbringt?
Und warum schickt mir mein Optiker Angebote für Gleitsichtbrillen, obwohl ich sein Ladengeschäft vor drei Wochen mit einem neuen Modell verließ?
Mein Lieblingsbeispiel ist das Angebot über einen Dachgepäckträger für eine Cabriofahrerin. Früher musste der Verbraucher das als “Streuverlust” geduldig hinnehmen. Heute wundert er sich über so viel Ignoranz und überlegt gut, wem er zukünftig von seiner Loyalität zuteil kommen lässt.
Was war jetzt mit der Eule?
Eulen sind dafür bekannt, dass sie ihren Kopf sehr weit drehen können. 270 Grad etwa. Das entspricht dreiviertel eines Kreises. In meinen Vorträgen benutze ich das Blickfeld der Eule gerne als Erinnerungsanker für die Aufforderung, den Kunden ganzheitlich zu betrachten. Wenn mein Konsumenten-Alter Ego einmal im Jahr nach einem Geburtstagsgeschenk für einen 10-jährigen sucht, möchte es nicht wochenlang mit Skateboard-Angeboten penetriert werden.
Aus der intelligenten Kombination bereits weniger Datenpunkte lassen sich neue und aufmerksamkeitsstarke Ansprachen generieren. Die wichtigsten Daten liegen in der Regel bereits vor, dennoch ist die Verwendung selbst 2019 noch immer seltene Ausnahme im Dialogmarketing.
Die Ursachen liegen häufig in der Silobildung von Daten, im typisch deutschen Gründlichkeitstrieb zunächst das perfekte Tool einführen zu wollen, oder einfach nur in mangelnder Phantasie der Marketingverantwortlichen.
Der oft propagierte 360-Grad-Kunden-Blick in den Whitepapers und Foliensätzen der Softwareanbieter klingt verlockend, löst in der Regel aber keine Probleme, sondern schafft Neue.
Die gute Nachricht: Du hast schon alles, was du brauchst. Beginne mit den Informationen, die vorliegen. Mit einem 270 Grad-Blick bist du deinem Wettbewerb um Lichtjahre voraus!